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Schönere Heimat
111. Jahrgang – 2022 – Heft 4
Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e.V.
Nahler, Dagmar: Das leere Feld. Eine persönliche Annäherung an Radulf Graf zu Castell-Rüdenhausen. 160 S., m. teils farb. Abb.
Im Mausoleum auf dem Schwanberg bei Kitzingen stehen vier Grabtafeln, eine für Graf Radulf zu Castell-Rüdenhausen (1922-2004), zwei für dessen Eltern, die letzte ist leer. Sie war für die Ehefrau des Grafen bestimmt. Warum ist diese Tafel unbeschrieben? Diese Frage begleitet die Autorin und war Anstoß, die vorliegende Biografie zu schreiben.
Der Schwanberg ist eine markante Erhebung am westlichen Rand des Steigerwalds. Er wird von Einheimischen „heiliger Berg“ genannt, wohl auch weil er heute ein spirituelles Tagungszentrum ist. Der Schlosspark ist darüber hinaus immer noch ein beliebtes touristisches Ausflugsziel. Es ist ein besonderer Ort. Im Jahr 1911 hatte Alexander Graf von Faber-Castell, der Vater von Graf Radulf, den Schwanberg erworben und dort ein Försterhaus errichtet.
Jedes der zehn Kapitel ist in vier Teile gegliedert: Zuerst berichtet die Autorin über sich selbst und über die durchlebte Trauer, deren Aufarbeitung sie auf den Schwanberg führte. Im zweiten Teil geht es um den biografischen Arbeitsprozess. Es folgt eine sorgfältig recherchierte Biografie des Grafen. Zuletzt beleuchtet Dagmar Nahler die Geschichte des Ortes, des Schwanbergs.
Die Heimathistorikerin bietet einen sehr persönlichen Zugang zur historischen Person des Grafen. Sie folgt den Vorfahren, schreibt auch hier Biogramme und legt umfangreiche Stammbäume an. Selbst als Person sichtbar zu werden, sei eine Überwindung gewesen, schreibt sie. Die Biografie wird immer wieder von persönlichen Erlebnissen der Autorin, die zahlreiche Aufenthalte auf dem Schwanberg unternahm, unterbrochen und bereichert. Auf diese Weise kann sich der Leser beiden Personen annähern: dem Grafen einerseits, der Autorin andererseits.
Man liest von Graf Radulfs Kindheit und Schulzeit in Oberstdorf, auf dem Schwanberg und am Ammersee, vom frühen Tod des Vaters und der erneuten Heirat der Mutter, von Reisen, von seinem Wehrdienst als Funker ab 1941, der Kriegsgefangenschaft in Südfrankreich und seinem Studium der Naturwissenschaften an der LMU in München.
Die Autorin charakterisiert den Grafen als gutmütig, zurückhaltend, bescheiden und doch mit verschmitztem Humor. Ein Mensch, den man gerne kennengelernt hätte. Wir erfahren auch von seinen Dackeln, von Bekanntschaften, Freundschaften und gescheiterten Liebschaften, von der Arbeit im Park und in den Wein- und Gemüsegärten auf dem Schwanberg.
Er starb kinderlos, hatte nie geheiratet. Der Verweis auf eine „tragische Liebesbeziehung“ bleibt vage. Darum also ist die vierte Tafel im Mausoleum auf dem Schwanberg unbeschrieben. Die Publikation wird um biografische Schwarz-Weiß-Fotografien sowie um farbige Fotografien der Autorin ergänzt. Sie selbst beschreibt ihre Art zu fotografieren als „meditative Fotografie“.
Das Buch weckt Lust, sich selbst (wieder oder überhaupt) einmal in eine Biografiearbeit zu vertiefen und sich einer historischen Person ebenso umfassend anzunähern. Darüber hinaus kommt der Leser nicht umhin, die eigene Verbundenheit zu einem besonderen Ort im eigenen Lebensweg zu reflektieren. Die Publikation kann damit auch als Studie gelesen werden, die Anstoß gibt, über sich selbst und die eigene Verortung in der Geschichte nachzudenken. Daniela Sandner