Im Berchtesgadener Land

Samtene Flügel und zarte Berührung

Das Berchtesgadener Land, mit seinen Bergen, Wäldern, Flüssen und dem Königsee, ist eine Woche meine Welt.

Eine Auszeit zur Orientierung und Erholung.

Gleich zu Beginn verschafft mir das Wetter eine Zwangspause. Der Regen trommelt auf das Hausdach. Ich genieße dieses Geräusch. Frühstücke in Ruhe, lese und ziehe mit dem Finger über die Wanderkarte. »Wo will ich heute hin?«

Der Himmel schließt seine Schleusen, ich breche auf. Hinter Bischofswiesen fahre ich spontan in einen Parkplatz. »Wanderparkplatz Steinerne Agnes«. Die Silhouette des Höhenzuges erinnert mich an frühere Urlaube hier, und die treffende Bezeichnung für diesen Bergzug, »Schlafende Hexe«.

Ich stehe weit unterhalb des Kopfes der Hexe. Orientiere mich auf der Karte und gehe los, ohne konkretes Ziel. Der Weg zieht stetig bergauf. Schnell bin ich außer Puste. Der morgendliche Regen hängt wie eine Dunstschwade in den Bäumen. Nach kurzer Zeit verzweigt sich der Weg, einer führt nach oben, der Panoramaweg flach weiter. Ich erinnere mich an die Vorsätze, »Piano, Erholung, keine Gipfelstürmerei!«, bleibe auf dem Panoramaweg. Ich schlendere dahin und lasse meine Gedanken ziehen. Die Ruhe legt sich um mich, ich atme tief durch. Ein leichter Wind bringt den Mischwald in Bewegung. Die glitzernden Gräser am Wegrand, Überbleibsel des Regens. Plötzlich entdecke ich links am Weg ein Schild. »Zur schönen Aussicht«. Fast wäre ich vorbeigelaufen. Spontan betrete ich den schmalen Fußpfad, gehe steil aufwärts in den Wald. Nach einigen Metern begrenzt ein Holzgeländer den Pfad, schützt vor Absturz in die Tiefe. Ich komme auf eine kleine Lichtung. Zwei Bänke laden zum Verweilen ein. Zwischen Bäumen wird die Sicht frei auf die umliegende Landschaft. Der gegenüberliegende Watzmann versteckt seine Gipfel in den Wolken. Ich setze mich auf die hintere Bank.

Welch ein idyllischer Ort! Aus dem Tal dringt der Lärm der Autos herauf. Kolonen von Wochenendausflüglern fahren nach Berchtesgaden. Und trotzdem fühle ich hier diese intensive Ruhe. Ich ziehe das Schreibbuch aus dem Rucksack und lasse meinen Gedanken freien Lauf. Allein unterwegs, hier an diesem Ort.

Plötzlich ist sie da, die Traurigkeit, die sich noch immer anschleicht, zugreift und mich schüttelt. Ich verliere die Kontrolle, kann die Tränen nicht stoppen. Hier ist Loslassen möglich.

Auf einmal bin ich nicht mehr allein. Ein Schmetterling umfliegt mich. Zuerst wehre ich seine Zudringlichkeit ab, dann lasse ich es geschehen. Er setzt sich auf meinen Fuß und kommt immer näher.

Erobert mein Schreibheft und traut sich vor, bis auf meine Hand. Seine Zutraulichkeit bewegt mich. Er bleibt und erkundet seinen Sitzplatz, tastet sich mit seinem Saugrüssel vorwärts. Ich bestaune die Zartheit. Seine Flügel schimmern wie brauner Samt, bedruckt mit orangenen Augenflecken und umrandet von einer weißen Kante. Ein weißbindiger Mohrenfalter.
Er holt sich Verbündete, als wollte er mir seine Stärke in Gemeinschaft zeigen. Ich halte die flatternde Gesellschaft mit der Kamera fest.

Diese hautnahe Begegnung bringt mich zum Nachdenken. Was hat sie zu bedeuten?
Folgende Worte fallen mir dazu ein: Liebe, Freude, Transformation, Wiedergeburt. Der Falter hilft dabei, Altes loszulassen. Seine Botschaft – wichtige Veränderungen mit Anmut und Leichtigkeit durchlaufen.

Der Schmetterling ist das Symbol des Buchprojektes »Ankommen -wo?«  mit Georg. Das Manuskript ist abgeschlossen und wartet auf Veröffentlichung.
Jetzt, da ich Neuausrichtung und Erholung anstrebe, begegnet er mir wieder.

Ich fotografiere und entdecke durch den Sucher eine Silhouette.
Am Baum, rechts neben der Bank, hängt ein Christus. Erinnert mich an meine spirituelle Orientierungssuche. Wie passend jetzt auf ihn zu treffen.

Zwei Stunden verbringe ich hier. Eine intensive Zeit der Begegnung und Reflexion. Erfüllt verlasse ich den Ort mit einer Aufforderung zur Leichtigkeit im Gepäck.
Die Schmetterlinge folgen mir ein Stück auf dem Weg abwärts.
Wieder auf dem Panoramaweg blicke ich nochmals nach oben zum Waldrand. Wehmütig nehme ich Abschied.

Die Leichtigkeit begleitet mich diese Urlaubswoche, vertieft sich und wird zum Leitsatz.

Bevor ich wieder in die Heimat abreise, halte ich nochmals am Wanderparkplatz und laufe zur schönen Aussicht.

Verbringe wieder einige Zeit mit den geflügelten Boten, diesmal mit freiem Blick auf den Watzmann.

Die Schmetterlinge verabschieden mich mit einem Auftrag.

Leichtigkeit, wie ein Flügelschlag
Vertraue auf dein inneres Wissen
Höre auf die Stimme deines Herzens
Breite deine Flügel aus und fliege